|  | Die Grunewaldstraße Die Abteilung Kunstpädagogik der
    Hochschule für bildende Künste war in dem gleichen Hause, Grunewaldstraße 2-5, untergebracht wie ihre
    Vorgängerin, die damalige Kunstschule Schöneberg, in der ich studiert hatte
    und in die ich nach 14 Jahren zurückkehrte. Meine erste Aufgabe in diesem
    Hause lag außerhalb der regulären Hochschularbeit. Sie gehörte zur
    Lehrerweiterbildung. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele
    junge Lehrer durch ein Kurzverfahren in den Schuldienst gelangt, ohne mit
    Kunsterziehung in Berührung gekommen zu sein. Etwa 20 solcher Lehrer
    sollten im Zeitraum von zwei Jahren, wobei sie drei Wochentage in der
    Abteilung Kunstpädagogik und die anderen drei in ihrer Schule arbeiteten,
    eine eingehende Kenntnis der Gestaltungsvorgänge in der Kinderzeichnung und
    der Ziele des Kunstunterrichtes erhalten, sollten Einblick finden in die
    Besonderheiten der modernen Kunst und sollten durch praktische Arbeit zu
    eigenen Erlebnissen im Malen, Zeichnen und Werken kommen. Das Alter der
    Teilnehmer lag zwischen 23 und 30 Jahren. Sie waren schon vorher durch
    einen Kurzkursus des Instituts für Lehrerfortbildung (bildnerische
    Erziehung) in Berlin-Tempelhof gegangen und nach künstlerischer Begabung
    ausgesucht worden. Die Arbeit mit ihnen war problemlos und erfolgreich.  Der Zweijahreskursus wurde nur einmal
    durchgeführt. Er war als Lehrerweiterbildung einfach zu teuer und hatte zu
    wenig Breitenwirkung. Man versuchte es ab 1950 mit Dreiwochenkursen, die
    ich ebenfalls durchführte. Natürlich waren drei Wochen zu kurz, um den
    Teilnehmern ausreichende Kenntnisse für den Kunstunterricht zu vermitteln.
    Aber zweierlei war doch zu erreichen: Erstens nahm jeder eine gewisse
    Begeisterung für bildnerisches Tun mit, zweitens hatte jeder gelernt, was
    man im Kunstunterricht mit Kindern nicht falsch machen darf. Die Teilnehmer
    an diesen Dreiwochenkursen waren bis zu 60 Jahre alt.  Der Zweijahreskurs lief erst ein
    halbes Jahr, als mir Abteilungsleiter Georg Tappert eine Malklasse mit zehn
    Studenten anvertraute. Das war überraschend für mich. Es bedeutete, dass
    ich mich als künstlerischer  Hochschullehrer qualifizieren sollte.
    Wieder ein halbes Jahr später bekam ich den Auftrag, eine zweisemestrige
    Übung im Handpuppenspiel für die Studenten des ersten und zweiten Semesters
    durchzuführen. Ich hatte im Zweijahreskursus mit den Lehrern ebenfalls
    Handpuppen gebaut und auch einige Spiele inszeniert und aufgeführt. Die
    viele Arbeit war mir willkommen. Sie half mir, Krieg und Gefangenschaft zu
    vergessen. Der Lehrbetrieb in der Abteilung
    Kunstpädagogik schien sich, seitdem ich 1934 nach meinem Examen dieses Haus
    verlassen hatte, nicht geändert zu haben. Viele Lehrerstellen waren noch
    offen. Auch Tappert schien mir unverändert. Er war voller neuer Ideen, war
    aber zunächst einmal vollauf damit beschäftigt, den Lehrbetrieb im Sinne
    der noch immer gültigen Verordnungen der Vorkriegszeit anzukurbeln. Auch
    die Prüfungsordnung von 1920 war immer noch gültig und musste bei Einrichten
    des Studienbetriebes berücksichtigt werden. An Neuerungen war zunächst
    nicht zu denken. In den damaligen Magistratsabteilungen hatte man alle
    Hände voll zu tun mit Dingen, die nach dem Kriege dringlicher schienen. 1949 kam durch Tapperts Bemühungen die
    Sammlung "Mannheimer, Kinderzeichnungen", die in ganz
    Westdeutschland kreiste, auch in unser Haus. Tappert bat mich, die
    Ausstellung aufzubauen. Die altersmäßig bedingte zeichnerische Entwicklung
    des Kindes sollte dabei berücksichtigt werden. Die Sammlung war hierfür gut
    geeignet. Während diese Ausstellung lief, habe ich fast jeden Tag Führungen
    für Lehrer und Studenten durchgeführt, die das Berliner Schulamt
    organisiert hatte. Die Kunstpädagogik erfreute sich damals in Berlin einer
    hohen Wertschätzung. Auch alle Mitarbeiter der Schulämter nahmen an einer
    Führung teil. 1950, zum 70. Geburtstag Tapperts,
    habe ich mit einer Studentengruppe in etwa vier Wochen so etwas wie ein
    Multimediatheater aufgezogen, eine Stegreifaufführung mit Handpuppen-,
    Marionetten-, Menschen- und Maskentheater, mit Schallplatten und Gesang,
    unter Einbeziehung des Publikums und der Korridore des Hauses - ein
    Theater, in dem wir uns über das Haus, seine Lehrer und Studenten, über das
    Studium und den angestrebten Beruf mit selbst entwickelten Texten und
    Inszenierungen lustig machten. Meine Arbeit an der Hochschule: die
    Lehrerkurse, die Malklasse, die Übungen im Handpuppenspiel und auch solche
    besonderen Aufgaben, wie die Mannheimer Ausstellung aufzubauen oder das
    oben erwähnte Multimediatheater zu inszenieren, lief mir leicht von der
    Hand. Mir kam beglückend zum Bewusstsein, dass ich in diesem Hause
    gebraucht wurde, dass ich eine Arbeit gefunden hatte, die vielfältig und
    interessant war. Mein Leben hatte wieder einen Sinn bekommen. Ich stand
    wieder mitten im Leben. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich richtig
    entschieden hatte, als ich mich entschloss, Kunsterzieher zu werden. Alles,
    was ich in meiner Studien- und Referendarzeit
    gelernt hatte, konnte ich gut gebrauchen und verwenden. Zu diesem Zeitpunkt
    konnte ich mir gut vorstellen, dass es lohnend sein könnte, seine ganze
    Kraft für die Kunsterziehung einzusetzen. Ich unterlag da beinahe einem
    Zwang. Ich dachte daran, wie viel mir in der Referendarzeit
    gefehlt hatte und dass sich jetzt die Gelegenheit bieten würde, daran
    mitzuarbeiten, das Angebot der Abteilung in Richtung Lehrerbildung zu
    erweitern. Ich sprach mit Tappert darüber. Er hatte recht, als er sagte, zu
    Neuerungen sei es noch ein langer Weg. Aber er hatte doch schon einiges in
    diesem Sinne verändert. Er hatte für die Studenten Möglichkeiten
    geschaffen, in Berliner Schulen zu hospitieren und selbst Unterrichtsversuche zu machen.
    Ein Philosoph und ein Erziehungswissenschaftler hatten Lehraufträge und
    hielten Vorlesungen und Übungen. Tapperts Aufgeschlossenheit war mir
    erstaunlich und bewundernswert. Mit allen meinen Änderungsvorschlägen
    rannte ich offene Türen ein. Er war über alle Entwicklungen und Tendenzen
    in den Berliner Schulen und Hochschulen informiert. Er hatte viele
    Verbindungen zum Schulamt und auch zur Pädagogischen Hochschule. neuesten
    Bestrebungen in der Lehrerbildung waren ihm geläufig. Aber er hat es nicht
    mehr miterlebt, dass die Abteilung schließlich seinen Vorstellungen
    entsprach. Diese besitzt jetzt eine Professorenplanstelle für einen
    Erziehungswissenschaftler und eine für einen Didaktiker des Kunst- und
    Werkunterrichts. Auch für das Fach Werkerziehung konnten die
    Studienmöglichkeiten verbessert werden. Schließlich hatten wir auch hier
    vier Professorenstellen. Dadurch hat sich dieses Fach immer mehr zu einem
    künstlerischen Fach entwickelt. In der bestehenden Prüfungsordnung,
    die sich seit den zwanziger Jahren nicht geändert hatte, wurde für das Fach
    Bildende Kunst im praktisch-künstlerischen Teil der Prüfung stereotyp von
    jedem Prüfling das gleiche verlangt: Malen, Aktzeichnen, Tierzeichnen,
    Sachzeichnen, Tafelzeichnen, Schriftschreiben und Perspektive, außerdem ein
    Wahlgebiet, sozusagen ein Leistungsfach, das aber nur aus den Gebieten der
    Plastik, Druckgraphik oder Schrift gewählt werden konnte. Grundgedanke für
    diese Schematik lag in dem Bestreben, den
    Kunsterzieher zu einer gewissen Breite des Studiums und zur künstlerischen
    Vertiefung auf vielen Gebieten zu zwingen. Das läuft aber im Endeffekt
    Wesen der Kunst zuwider und verhindert, dass der Student während des
    Studiums zu einer eigenen künstlerischen Leistung in einem Neigungsgebiet
    findet und dies auch im Examen zeigen kann. Andererseits muss man aber auch
    die Notwendigkeit einsehen, dass dem Kunsterzieher möglichst viele
    künstlerische Disziplinen geläufig sein sollten, damit er in seiner
    späteren Unterrichtspraxis möglichst alle Schüler ansprechen kann. Die Kunsterzieher hatten nach dem
    Kriege in den Schulen aus dem Werken ein gestalterisches Fach entwickelt,
    in dem sich die Phantasie der Schüler an verschiedenstem Material betätigen
    konnte. Sie hatten die neuen Tendenzen der Vor- und Nachkriegskunst als
    Impulse und Anregungen schnell und gründlich im Werkunterricht der Schulen aufgegriffen,
    als da sind: Mobiles, Kinetik, Schrottplastiken, serielle Reihungen von
    Industrieprodukten und -abfällen, Materialkollagen usw. Diese neuen
    Tendenzen der Kunst mussten jetzt endlich anregend und verändernd auch in
    die Werkstattarbeit unserer Abteilung einziehen. Tatsächlich war dies, als
    ich 1948 in der Grunewaldstraße begann, schon
    einigen Werkstätten im Ansatz vorhanden. Wenn die Abteilung beweisen
    wollte, dass das Studium im Fach Werken künstlerisch sei, musste die
    künstlerische Gestaltung alle bestehenden Werkstätten (Holz, Papier und
    Pappe, Metall, Textil) voll erfassen. Die Werkstättenarbeit
    musste sich vom rein handwerklichen Betrieb, von der rein technischen
    Handfertigkeitsübermittlung deutlich abheben. Ende der fünfziger Jahre war
    diese Entwicklung abgeschlossen. Eine Werkstatt für freies Gestalten in
    verschiedenen Materialien war hinzugekommen, und ganz zuletzt konnten wir
    noch eine Kunststoffwerkstatt und eine Werkstatt für Spiel und Bühne
    einrichten. Seither steht das Studienfach Werken gleichberechtigt als
    künstlerisches Fach neben dem Fach Bildende Kunst. Die Studenten absolvieren nun auch in
    diesem Fach ein breites Grundstudium in mindestens drei Werkstätten, um
    dann im letzten Teil des Studiums in einem Wahlfach in einer Werkstatt an
    eigenen Gestaltungen zu arbeiten. Auch für die Hausarbeit in der Ersten
    Staatsprüfung kann die Aufgabe aus dem Gebiet des Werkens gestellt werden. Die Werkstatt für Textiles Gestalten
    war besonders glücklich dran, weil seit 1920 Studentinnen, die schon die
    Erste Staatsprüfung hinter sich hatten, in einem zweisemestrigen (jetzt
    viersemestrigen) Zusatzstudium das Fach Textiles Gestalten (früher
    Handarbeit) anstelle des wissenschaftlichen Zwangsfaches studieren konnten.
    Jetzt steht diese Möglichkeit auch für männliche Studenten offen.  Die vielen Veränderungen, die die
    Abteilung Kunstpädagogik vom Kriegsende bis jetzt durchgemacht hat, gingen
    natürlich nur selten glatt über die Bühne. Es ergab sich sehr oft eine
    hartnäckige Opposition derer, die die althergebrachte Ordnung
    aufrechterhalten oder wiederherstellen wollten. Man sollte dankbar dafür
    sein, weil man gerade durch die Opposition gezwungen ist, alles, was man
    ändern will, von vornherein klar durchzudenken und stichhaltige Argumente
    bereitzuhalten. Der Sieg der Argumente ist immer noch die beste Grundlage,
    eine Gemeinschaft zusammenzuhalten. Der Berufswunsch und das Berufsziel
    der jungen Menschen, die in der Abteilung Kunstpädagogik studieren, ist
    klar: Sie wollen Kunsterzieher werden. Wenigstens müsste man annehmen, dass
    es so ist. Da aber diese Studenten nach künstlerischer Begabung ausgesucht
    sind, studiert auch hier eine künstlerische Elite. Kein Wunder also, wenn
    während des Studiums bei dem einen oder anderen mit zunehmender
    künstlerischer Potenz der ursprüngliche Berufswunsch verblasst und
    schließlich von der Verlockung, freier Künstler zu werden, verdrängt wird.
    Wenn sich ein solcher Student mir anvertraute, habe ich ihm immer geraten,
    zielstrebig das Examen anzusteuern und sich erst danach zu entscheiden, ob
    er als freier Künstler oder als Kunsterzieher arbeiten will. Beides zu sein
    ist sehr schwer. Ich habe das an mir selbst erfahren.  Die Lehrtätigkeit in den Ateliers, der
    Umgang mit jungen und begabten Menschen, ist für mich immer eine reine Freude
    gewesen, besonders, wenn nach einigen Semestern die Eigenarten der
    verschiedenen Begabungen zum Vorschein kamen. Man ist dann als Lehrer
    leicht geneigt, diese Studenten bis ans Ende ihres Studiums bei sich zu
    behalten. Ob das richtig ist, habe ich immer bezweifelt. Natürlich ist es
    einfacher, mit Studenten, mit denen man schon weitgehend einen Konsensus
    hergestellt hat, zu arbeiten als mit solchen, die man erst noch kennen
    lernen muss oder deren Entfaltung noch auf sich warten lässt. Aber es
    schien mir oft und gerade im Falle einer großen Begabung und einer
    zunehmenden Selbstsicherheit des Studenten für dessen Entwicklung besser,
    wenn er den Lehrer wechselte, um noch andere Lehrmeinungen kennen zu
    lernen. Es ist natürlich auch für den Studenten bequem, sich unter dem
    Spalier eines einzigen, vielleicht sogar verehrten Künstlers, einzuwurzeln
    oder vielleicht sogar ein Ableger des "Meisters" zu sein. Besser
    finde ich, wenn der Student erst am Ende seines Studiums, nach gewonnener
    Einsicht und Übersicht eine selbständige Entscheidung für seinen
    künstlerischen Standort findet. Viele vom Lehrer hoch gezüchtete begabte
    Studenten platschen nach dem Verlassen der Hochschule zusammen wie Blumen
    ohne Wasser, weil sie versäumt haben, sich schon an der Hochschule durch
    einen Lehrerwechsel selbst in Frage zu stellen.  Als ich 1948 in der Grunewaldstraße angefangen hatte, machte ich mir
    Gedanken über den Status unserer Hochschule. War sie eine Hochschule oder
    eine Fachhochschule? Nach den gesetzlichen Grundlagen war sie eine
    Fachhochschule. Nur die Abteilung Kunstpädagogik besaß den
    Hochschulcharakter im Sinne einer Universität. Sie war die einzige
    Abteilung, die von ihren Studenten das Abitur verlangte. Aber der
    praktisch-künstlerische Teil des Studiums unterschied sich kaum vom
    Atelier- und Werkstattbetrieb der Abteilung Freie Kunst. Zu meinen
    Malerkollegen hatte ich in unserer Abteilung ein gutes Verhältnis. Als ich
    aber einmal in einer Sitzung äußerte, wir müssten uns abgewöhnen, in
    unserer Abteilung einen Ableger der Abteilung Freie Kunst zu sehen, waren
    einige richtig böse. Später, in einer Senatssitzung Mitte
    der fünfziger Jahre, rief ich ebenfalls große Entrüstung hervor, als ich
    behauptete, unsere Hochschule sei keine Hochschule und wir würden die
    Gleichstellung der Kunsthochschule mit den Universitäten nie erreichen,
    solange wir uns nicht um eine Universalität des Kunststudiums bemühten. Die
    Studenten aller Abteilungen müssten Kunstgeschichte, Kunstsoziologie,
    Psychologie und auch Philosophie obligatorisch studieren, soweit diese
    Wissenschaften für die Kunst von Bedeutung seien. Dies müsste dann auch in
    Prüfungen nachgewiesen werden, z.B. in der Meisterschülerprüfung. Um
    Malerei oder Bildhauerei zu erlernen, genügten zwar Meisterateliers. Aber spezialistisch ausgebildete, sonst aber ungebildete
    Künstler seien ein Anachronismus. In der Abteilung Freie Kunst konnten
    sich damals solche Gedanken nicht durchsetzen und sind auch heute nur in
    schwachen Ansätzen vorhanden. In der Abteilung Kunstpädagogik wurden schon
    in den fünfziger Jahren neben der Prüfung in Kunstgeschichte von den
    Prüflingen Kenntnisse in Erziehungswissenschaften und pädagogisch
    relevanten Gebieten der Philosophie, Psychologie und Soziologie bzw.
    Einblicke in diese Gebiete verlangt. Die geistige Flexibilität, die die
    Studenten dadurch erlangten, hat wahrscheinlich mitgeholfen, dass sich die
    künstlerischen Potenzen unter ihnen in den sechziger Jahren (siehe Großgörschenstraße) in der Berliner Kunstszene gut
    durchgesetzt haben. Es ist eben nicht richtig, wenn man junge Menschen, die
    sich der Freien Kunst verschrieben haben, in den Ateliers geistig
    isoliert. Künstlerische Freiheit kann nur in geistiger Beweglichkeit
    gedeihen.   |